Bisher habe ich mich nur mal punktuell mit Stücken von Bach beschäftigt und nun, einen etwas niedrigschwelligen Ansatz suchend, das Heftchen "Bach for Guitar" von Martin Hegel (Schott) besorgt. Da sind viele bekannte Stücke in etwas vereinfachter Version notiert und mein Gitarrenlehrer hat mal spontan die "Tobackspfeife" rausgesucht - tatsächlich nicht schwer, aber auch nicht schlecht, um Bass- und Melodielinien präzise einzuüben. (Darauf scheint es ja bei Bach u.a. auch anzukommen.) Falls jemand Lust hat, Erfahrungen mit dieser oder anderen Notensammlung bezüglich der Zielrichtung "Bach für Einsteiger" zu teilen, würde ich mich freuen.
Ich habe auch Hegels Ausgabe und finde sie für Fortgeschrittene sehr übersichtlich ! Habe bisher die Stücke nur angespielt, werde aber in den kommenden Tagen die Noten wieder hervorkramen, danke für die Anregung!
Zu den einzelnen Notenausgaben und -bearbeitungen kann ich wegen der Vielzahl ebensolcher gar nicht viel beitragen (zumal die Unterschiede marginal sind), aber beim Thema "Bach für Einsteiger" liefen mir spontan einige andere Gedanken durch den Kopf, die ich jetzt einfach mal hier ausbreiten werde. Falls zu sehr OT, dann einfach verschieben...
Wichtig ist die präzise Ausarbeitung der einzelnen Stimmen, wie Michael schon anmerkte. Die Bassstimme wird anfänglich dabei meist unterschätzt. Die einzelnen Stimmen sind absolut als eigenständige Stimmen gleichberechtigt aufzufassen (im kontrapunktischen Sinne), auch wenn der Bass funktionsharmonisch stärker in Erscheinung tritt (oder mal hervortreten sollte). Jede Stimme auch immer separat spielen und (bewusst) hören. Grundlage dafür ist jeder einzelne (der präzise) Ton. Sehr wichtig ist m.E. die Rhythmik ohne Temposchwankungen, also beispielsweise ritenuto / accelerando (Agogik). Die drei (aller) letzten Töne können leicht "aufgefangen" werden (um den romantisch geschulten Musikliebhaber 'mitzunehmen'). Das Musikstück in musikalische Phrasen unterteilen, die dann später zum Gesamtstück gefügt werden. Die musikalischen Phrasen* sind leicht zu identifizieren, einfach mal singen oder summen. Tobackspfeife ist sehr gut, empfehlen kann ich noch das Bourrée aus der E-moll Lautensuite**.
Der musikalische Hintergrund bachscher Musik bilden im engeren Sinn der Generalbass und der Kontrapunkt. Das sind jedoch weite und große musiktheoretische und -praktische Felder. Abkürzend schlage ich an dieser Stelle immer vor, Bachs Musik zu hören. Als Nonplusultra gilt für mich Glenn Gould - zum Beispiel die Goldbergvariationen. Ich weise vorsorglich darauf hin, dass jede der 30 Variationen einen Mikrokosmos an bachscher kontrapunktischer Kunst darstellt; insofern könnte man vielleicht nach dem Hören des Gesamtwerkes (um vom Kosmos nicht erschlagen zu werden) eines oder einige Stücke, die besonders gefallen, einzeln nochmals hören und sich dann bewusst damit auseinandersetzen. Oder andere von Glenn Gould gespielte Klavierstücke Bachs 'raussuchen.
Mit den Goldbergvariationen ist die bachsche Werkschau alleine selbstverständlich nicht zu bewältigen. Deshalb sind meine Vorschläge hier in aller Kürze besonders unter dem Fokus der Gitarre (und der raren und damit kostbaren Zeit insgesamt) zu verstehen.
Matthias
*eine musikalische Phrase ist die kleinste musikalisch sinnvolle Einheit, meist melodische (auch motivische) Gliederung bei Musikstücken Tobackspfeife: die ersten 4 Takte
**Das Stück (Bourrée) ist wohl das berühmteste Stück unter Gitarristen, lese ich gerade bei Wiki... , das glaube ich sofort!
Hallo Matthias, danke für deine kompetenten Ausführungen! Ich bin leider musiktheoretisch nicht sehr bewandert, aber finde hier auch aus der Perspektive als Übender die Herausforderung Bach'scher Musik sehr treffend beschrieben. Mal sehen, wie weit ich dem gerecht werden kann. Da ich die Aufnahme von Gould habe, werde ich die Anregung aufnehmen, meine Hörgewohnheiten sind inzwischen sehr gitarrenlastig geworden.
Zitat von Matthias im Beitrag #4Sehr wichtig ist m.E. die Rhythmik ohne Temposchwankungen, also beispielsweise ritenuto / accelerando (Agogik).
Da wage ich doch zu widersprechen. Es ist eine furchtbare Unsitte geworden, Bach wie eine Nähmaschine herunterzuklappern. Wenn man sich mit Organisten unterhält, sehen das sehr viele ähnlich bis genauso, Orchesterleiter und Streicher übrigens auch. Bei Cembalisten und Pianisten dominiert die Nähmaschinenfraktion, leider. Ich habe nie verstanden, warum man das bei Bach (und Scarlatti) so machen soll. Es gibt meines Wissens keinen nachvollziehbaren Grund dafür, (auch nicht für den oft damit einhergehenden Tempowahn) und wenn man die Musiker fragt dann heißt es lapidar "das macht man so". Sorry, das ist mir zu dürftig. Dass man Bach nicht wie Bruckner interpretiert sollte natürlich allen klar sein.
Gould ist als Bach-Interpret eine eigene Hausnummer. Manches ist toll, anderes aber furchbar. Wobei da jeder seine eigenen Prioritäten hat. Als "Vorbild" taugt er mMn allerdins nur bedingt, da gibt es viele andere tolle Interpreten.
"Für Einsteiger" finde ich Bach ohnehin nur wenig geeignet. Sicher gibt es eine Handvoll spielbarer und nett klingender Stücke (die erwähnte Bourrée …), aber die sind aufgrund ihrer Überbekanntheit blöd, da der Zuhörer immer unbewusst vergleicht. Und die größeren Stücke sind alle schwer, auf jedem Instrument und als Transkription allemal. Einen Bach mal für sich selbst zu üben ist natürlich schön, aber mit sehr viel Arbeit verbunden und als Laie kaum sicher aufführbar. Ich kenne professionelle Gitarristen, die in Konzerten keinen Bach spielen, weil der Aufwand hoch und die Aufführung heikel ist. Was ich aus meiner Zuhörererfahrung bestätigen kann.
Die Einsteigerstücke bei Bach sind zwar meist melodisch sehr schön, sind aber eigentlich selten mal typisch Bach, gerade in Bezug auf die Polyphonie. Wer schon etwas geübter ist, kann sich am Präludium BWV 999 versuchen (War damals in meiner Gitarrenschule). Das verträgt aber tatsächlich keine Temposchwankungen und die Bassmelodie sollte deutlich herausgearbeitet werden. Aber bitte nicht Segovias Einspielung auf YT als Vorbild nehmen. Der spielt es für meinen Geschmack viel zu schnell und tatsächlich wie eine Nähmaschine und leider hat er da reichlich schlechte Gesellschaft. Harmonietechnisch hat es das Stück in sich und auch dazu findet man auf YT reichlich Material (dann meist mit Klavier/Cembalo). Ich hatte es zuletzt tatsächlich wieder vorgeholt, um es auswendig zu lernen, was ich nie konnte. Das hat mir beim Verständnis der harmonischen Zusammenhänge enorm geholfen.
Die „echten“ oder „großen“ Bachstücke sind tatsächlich deutlich anspruchsvoller und für Anfänger kaum geeignet. Problem dabei sind oft nicht so sehr die technischen Schwierigkeiten (die gibt es natürlich auch), sondern das schnelle Aufeinanderfolgen der unterschiedlichen Stimmen in immer neuen Variationen, was eine absolute Konzentration erfordert, woran es leider bei mir hapert. (Sehr schönes Beispiel: Fuge BWV 1000 an der ich gerade abwechselnd arbeite und verzweifle)
Das mit der Nähmaschine ist so eine Sache. Gerade bei Glenn Gould findet man nämlich beides: Seine erste Aufnahme der Goldberg Variationen von 1955, die ihn berühmt gemacht hat, ist genau das, was Ollo bekrittelt: Superschnelles Tempo, als wolle er ein Wettrennen gewinnen. Technisch brillant, aber musikalisch (meiner Meinung nach) nicht besonders eindrucksvoll.
Dann gibt es aber noch die spätere Aufnahme aus den 80ern und die ist musikalisch unglaublich gut und die kann absolut als Vorbild in Sachen Ausarbeitung der Polyphonie dienen. Er spielt deutlich langsamer (1. Version 38min, 2.Version 51min), sehr phrasiert aber vom Tempo her trotzdem jeweils sehr gleichmäßig. Ich empfehle beide zu hören, um zu erspüren was den Unterschied ausmacht.
Zitat von Matthias im Beitrag #4Sehr wichtig ist m.E. die Rhythmik ohne Temposchwankungen, also beispielsweise ritenuto / accelerando (Agogik).
Da wage ich doch zu widersprechen.
Vielen Dank für deinen Beitrag! Ich werde versuchen, mittels einzelner Schlagworte darauf einzugehen.
"...Nähmaschine herunterzuklappern."
Das ergibt sich m.E. aus der Kontrapunktik. Wenn alle Stimmen gleichberechtigt sind, dann gibt es keinen Grund dafür, einzelne Abschnitte beispielsweise langsamer oder schneller zu spielen und sie damit gegenüber den anderen Abschnitten hervorzuheben. Dadurch würden diese eine - meiner Meinung - nach unverhältnismäßige Gewichtung erlangen, die u.U. das gesamte Musikstück in ihrer Intention zuwiderlaufen. Besonders deutlich stellt sich das Problem bei Fugen oder fugenartigen Stücken, da diese meistens streng kontrapunktisch durchkomponiert sind. Und auf solche Stücke bezogen waren meine Ausführungen (was die Interpretation von Gould einschließt) insbesondere zu verstehen. Selbstverständlich gibt es Musikwerke auch von Bach, die eine etwas andere Interpretation, wie beispielsweise die Brandenburgischen Konzerte, zulassen oder sogar geboten erscheinen lassen. Aber letztendlich müssen sich auch hierbei musikalisch gute Gründe finden, die einen solchen Interpretationsspielraum rechtfertigen. Interessanterweise habe ich noch nie eine musikbezogene signifikante Begründung von entsprechender Seite für Temposchwankungen bei Fugen und ähnlicher kontrapunktisch dominierender Musik gehört.
Ich habe ein Beispiel anzubieten, welches die Thematik vielleicht sogar besser illustriert, mindestens jedoch meine Aussage verdeutlicht. Selbstverständlich für Gitarre: Silvius Leopold Weiß, Fantasia in D-Moll (meist in E-Moll gespielt). Der zweite Teil wird "nähmaschinenmäßig heruntergeklappert". Er ist ggü. dem ersten Teil kontrapunktisch (fast) durchkomponiert. Das Ergebnis ist bei vielen Interpreten dasselbe. (Zu den Temposchwankungen des ersten Teils werde ich mich hier nicht äußern, das würde den Rahmen bei weitem sprengen)
Über das Tempo an sich kann man sich wahrscheinlich ewig streiten, weil die Subjektivität hier deutlich höher gewichtet Einfluss nimmt; aber streiten will ich ja gar nicht.
"Für Einsteiger finde ich Bach ohnehin nur wenig geeignet"
Stimmt. Deshalb heißt das Thema ja auch "Bach für Einsteiger ;)
"Überbekanntheit"
Das Argument hab ich im Zusammenhang mit Beethovens Neunte noch nie gehört. ;) Aber Scherz beiseite, es ist ein Unterschied zwischen dem, der spielt und dem, der hört. Oma und Opa hören sich das Bourrée von Enkelin Marie 12 mal an und sind immer noch begeistert...
Zitat Einen Bach mal für sich selbst zu üben ist natürlich schön, aber mit sehr viel Arbeit verbunden und als Laie kaum sicher aufführbar. Ich kenne professionelle Gitarristen, die in Konzerten keinen Bach spielen, weil der Aufwand hoch und die Aufführung heikel ist. Was ich aus meiner Zuhörererfahrung bestätigen kann.
Kein Widerspruch meinerseits.
Matthias
Folgende Mitglieder finden das Top: Peter, rwe und Harald
Überbekanntheit war jetzt meine Formulierung. Ich meine damit Stücke, die permanent von allen rauf und runter gedudelt werden. „Kegeln mit Ludwig“ (alle Neune) schließe ich da mit ein. ;-) Als Interpret ist man da gestraft, weil man immer mit einer dem Zuhörer bekannten Interpretation verglichen wird. Das frustriert.
Nettes Erlebnis am Rande: bei einem Laien-Vorspiel kam die spanische Romanze zum Vortrag. Und Omma Schmidt rief begeistert: „Hach, das kenne ich, das ist von Ricky King!“
Da ich für den etwas unglücklichen Titel verantwortlich bin: Ich meine nicht "Bach für Anfänger", sondern Bach für Gitarristen, die anfangen wollen Stücke von Bach auf der Gitarre zu spielen, zunächst mal unabhängig davon, ob das jetzt zum zwecke der Aufführung gedacht ist. Wieviel an technischen Fertigkeiten man dafür mitbringen sollte, ist sicher eine Frage.
Forum-Klassikgitarre.de
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15.06.2024 11:50
Antworten
Als "Vorbild" taugt er mMn allerdins nur bedingt, da gibt es viele andere tolle Interpreten.